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Farberkennungsgeraet



Mitteilungen der Rechtsabteilung (RA) 7/99


Betr.: Neue Urteile in Sachen Farberkennungsgeraet (FEG)

Sehr geehrte Damen und Herren,

das von Herrn Seuss erstrittene positive Urteil des Sozialgerichts
Augsburg vom 20.3.1998 (S 6 KR 93/97) zum FEG - siehe RA 7/98 -
hat sich erfreulicherweise in vielen Faellen als hilfreich
erwiesen.

Es liegen inzwischen weitere Urteile vor, die jedoch - um es
gleich zu sagen - von ihrer Aussagekraft nicht an das des SG
Augsburg heranreichen. Eine Uebersicht:

1. SG Oldenburg, Urteil vom 13.5.1998 - 6 KR 60071/97:

Das Gericht folgt dem bekannten BSG-Urteil und ist boese darueber,
dass die Krankenkassenverbaende dieses Urteil nicht respektieren.
"Dass ein solches Hilfsmittel rechtswidrigerweise noch nicht in
dem Hilfmittelkatalog aufgenommen worden ist, vermag die Beklagte
nicht zu entlasten, das Hilfsmittelverzeichnis schraenkt den
Anspruch des Versicherten nicht rechtsverbindlich ein. (...)
Wieso dieses BSG-Urteil nur eine Einzelfallentscheidung sein
soll, ist nicht ersichtlich." Ueber solche Saetze freilich duerfen
die Krankenkassen boese sein: Sie haben schliesslich unbestritten
das Recht, anderer Meinung als das BSG zu sein, insbesondere bei
einer Sachverhaltsfrage (Wie tauglich ist das Geraet?).

2. SG Mannheim, Urteil vom 2.6.1998 - S 10 KR 3308/97:

Das Gericht lehnte die Klage mit der Begruendung ab, die blinde
Klaegerin koenne auf die Mithilfe ihres nicht berufstaetigen
sehenden Ehemannes im Haushalt verwiesen werden. Hintergrund: Das
BSG hat in den Faellen der Familienversicherung, wenn also die in
Betracht kommende Hilfsperson bei derselben Krankenkasse
mitversichert ist, eine solche Verweisung fuer gerechtfertigt
gehalten. Die Klaegerin legte nun Berufung ein, weil sie und ihr
Ehemann ausnahmsweise unabhaengig voneinander krankenversichert
waren. Das Berufungsverfahren endete mit einem Vergleich, in dem
sich die Krankenkasse zur Zahlung von 900 DM verpflichtete.

3. SG Leipzig, Urteil vom 9.9.1998 - S 5 KR 112/97:

Das Gericht schliesst sich dem BSG-Urteil an. Es betont, dass das
Hilfsmittelverzeichnis keine normative Wirkung entfaltet.

4. SG Landshut, Urteil vom 13.11.1998 - S 10 KR 47/97:
Das Gericht schloss sich dem BSG-Urteil an. Massgeblich war darueber
hinaus die "eindrucksvolle Demonstration" der Klaegerin, die die
Benutzung des Geraetes im Termin vorfuehrte.

5. SG Koeln, Urteil vom 24.11.1998 - S 9 KR 67/97:

Das Urteil ist insofern von besonderem Interesse, weil sich das
Gericht nicht (!) an das BSG-Urteil gebunden sah, sich dann aber
aus eigener Ueberzeugung dem BSG-Urteil anschloss. Das Gericht hat
zur Aufklaerung des Sachverhalts das von uns kritisierte Gutachten
des MDK Bayern herangezogen und hat - gewissermassen als
Obergutachten - die Stellungnahme von Prof. Konen von der
Uni-Klinik in Koeln eingeholt. Diese Stellungnahme liegt mir vor;
sie ist allerdings aeusserst knapp und enthaelt keine brauchbaren
Aussagen ueber durchgefuehrte Experimente. Die vom Gericht
formulierte Urteilsbegruendung ist demgegenueber noch
ausfuehrlicher; ich zitiere deshalb daraus: "Der Sachverstaendige
hat festgestellt, dass das Farberkennungsgeraet geeignet ist, das
nicht vorhandene Sehvermoegen zu einem gewissen, kleinen Teil
auszugleichen. Das Geraet ist zwar nicht in der Lage, Gegenstaende
und Hindernisse zu erkennen. Es ist jedoch moeglich, damit die
Farbe einiger Gegenstaende relativ genau zu bestimmen, was im
Alltag zur Erleichterung einiger Dinge fuehrt. Allerdings konnte
auch der Sachverstaendige geringe Probleme des Geraetes bei der
korrekten Farberkennung feststellen. So wurde anlaesslich der
Gutachtenerhebung zum Beispiel ein Dunkelgruenton als Braun
angegeben. Ueberwiegend war die Angabe der Farbe jedoch korrekt.
Durch den Einsatz des Farberkennungsgeraets kommt es zu einer
deutlichen Erleichterung der Lebensfuehrung. Blinde Menschen sind
vor allem verunsichert, wenn sie die Farbe von Kleidungsstuecken
nicht korrekt erkennen koennen. Zusaetzlich kann ein solches Geraet
zur Farbererkennung durchaus hilfreich in der selbstaendigen
Haushaltsfuehrung sein. Nach Auffassung des Sachverstaendigen sind
daher durchaus sinnvolle Anwendungen eines solchen Geraetes fuer
Blinde zu erkennen." Das SG Koeln schliesst sich daraufhin den im
BSG-Urteil getroffenen Feststellungen an, naemlich: "dass die
vielfaeltigen Anwendungsfaelle jeweils fuer sich genommen die
Einstufung des Farberkennungsgeraetes als fuer einen blinden
Menschen moeglicherweise nur zweckmaessig, aber nicht notwendig
rechtfertigen moegen. Massgeblich kann hierbei aber nur eine
gesamtschau, eine Wuerdigung der Gesamtheit der
Anwendungsmoeglichkeiten sein. In der Gesamtschau muss das
Farberkennungsgeraet als notwendiges Hilfsmittel angesehen werden.
(...) Diesen ueberzeugenden Ausfuehrungen des BSG schliesst sich die
Kammer in vollem Umfang an."

Fazit: Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kann
man bereits jetzt sagen, dass sich das BSG-Urteil durchsetzt bzw.
durchsetzen wird. Anders sieht es jedoch im Bereich der
Beamtenbeihilfe aus. Hier sind die rechtlichen Voraussetzungen
insofern andere, als die Beihilfevorschriften (BhV) - anders als
das Hilfsmittelverzeichnis der GKV - fuer den Beamten unmittelbar
und abschliessend geltendes Recht sind. Dies jedenfalls ist die -
wohl endgueltige - Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart.
Dies hatte zunaechst in einem Urteil vom 10.9.1997 - siehe RA
20/97 - eine ueber die Grenzen der Beihilfevorschriften (BhV)
hinausgehende Fuersorgepflicht des Dienstherrn bejaht und hatte
diesen zur Finanzierung eines FEG verurteilt. Dasselbe Gericht,
dieselbe Kammer, aber ein anderes - als Einzelrichter - wirkendes
Mitglied dieser Kammer hat nun anders entschieden:

6. Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 4.12.1998 - 17 K
285/97:

Das Gericht sieht in dem in den BhV ausdruecklich erklaerten
Ausschluss des FEG aus den beihilfefaehigen Hilfsmitteln eine
verbindliche und abschliessende Regelung. Ob die Ablehnung eine
Verletzung der Fuersorgepflicht des Dienstherrn darstellt, wird im
konkreten Fall erst gar nicht untersucht. Beklagte war naemlich
die Postbeamtenkrankenkasse. Diese ist - nach der Privatisierung
der Post - keinem "Dienstherrn" unterstellt.



Mit freundlichen Gruessen


     (Drerup)