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Re: Ästhetik oder Dokumentgestaltung



Hallo Wolf-Dietrich, hallo ilsabe,
-----Urspruengliche Nachricht-----
Von: Wolf-Dietrich Trenner <taubblind_bEi_post.de>
An: fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de
<fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de>
Datum: Sonntag, 25. April 1999 04:09
Betreff: Re: Aesthetik oder Dokumentgestaltung


>>>Das ist Hochmut pur!<<
>das ist die Realitaet des Berufslebens. Hochmut ist wenn mir der Blinde die
>Gestaltung des Schwarzdrucks vorschreiben will und ich ihm Braille. Das
>sollte man besser lassen. Im Zuge der "Normalisierung" auf beiden

dann hast Du, Wolf-Dietrich,  meinen Artikel, aus dem ja eine Passage
Ausloeser dieser Diskussion war, nicht genau gelesen: ich bin ja nicht nur
blind, sondern habe auch mal gesehen. Damit kenne ich beide Erlebniswelten -
eine Erfahrung, die mein Chef nicht hat.

Daher wage ich es schon, zu bewerten, ob eine bestimmte Gestaltung
sinntragend ist - eine Gliederung, eine hervorhebung usw. - oder einfach nur
"schoen" oder "modern" - wie z.B. im konkreten Fall das Einfuegen eines Logos
in einen Briefkopf, der ansonsten keine neuen Sachinformationen enthaelt, die
nicht auch schon aus dem alten, lediglich typografisch abweichenden
Briefkopf ablesbar gewesen waerem.

Ein Chef, der einfach per "ordre de Mufti" festlegt, ohne sich auch mal die
Meinung seiner Mitarbeiter anzuhoeren, gehoert in die Mottenkiste der modernen
Fuehrungslehre. Immerhin wird ja gerade von der oeffentlichen Verwaltung
gefordert, sie moege effektiv und effizient arbeiten - mehrere mannstunden
Arbeit, nur um ein "outfit" ohne jeden Informationsgehalt in ein lange
bewaehrtes Formularsystem  einzubinden, halte ich in diesem Sinne fuer
ueberzogen. Und da berufe ich mich dann schon auf die besonderen Erfahrungen,
die ich gemacht habe: Immerhin war es mir in einer Weise, die sonst einem
Sehenden oder auch einem von Geburt an blinden Menschen nicht in
vergleichbarer Art moeglich ist, gegeben, zu bewerten, was durch den Verlust
der Sehkraft wirklich fehlt und was im Grunde entbehrlich ist an all dem,
was man einst gesehen hat.

Natuerlich sind diese Wertungen individuell und werden sich auch zwischen
verschiedenen spaeterblindeten Menschen in Nuancen unterscheiden. Ich denke
aber, dass gerade dieses Infragestellen der Konventionen der
nicht-behinderten Welt ein wertvoller Inhalt ist, den Behinderte allgemein -
und was die optische Ueberfrachtung unserer modernen Welt angeht, Blinde im
besonderen - in die Diskussion einbringen koennen.

Wenn Ilsabe Deine Reaktion auf diese Angelegenheit daher kritisiert, stellt
sie Deine Sensibilitaet gegenueber der Weltsicht von Behinderten in Frage.
Arbeit fuer Behinderte - ich schliesse aus Deiner E-Mail-Adresse, dass Du da
irgendwo involviert bist - heisst ja nicht nur, fuer formal bessere Rechte
o.ae. einzutreten. Es bedeutet m.E. auch, die besondere Erlebensweise, mit
der Behinderte auf die Welt, in der sie leben, reagieren, mit in die
Gedankenwelt nicht-Behinderter einzubeziehen und auch anzuerkennen.

Gruss Andreas