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Re: Ästhetik oder Dokumentgestaltung



Andreas,

da Ilsabe mich nur ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert hat
nochmal die Umgebung und meine Aeusserung im Sinn:

>>Egal womit gearbeitet wird: der Benutzer sollte sich auskennen. Dann kann
man sowohl im alten Word 5.0 als auch in Winword Makros und Vorlagen
einsetzen und anpassen. Wer mir jedoch erklaerte, er brauche die von mir als
Chef vorgeschriebene Software nicht weil sowieso das Ergebnis
"Schnick-Schnack" waere, der haette an seinem Arbeitsplatz nicht mehr viel
Freude. Bringt er mir die gleichen Ergebnisse, dann koennte er erklaeren was
immer. Mein LaserJet 5 ist aber unter DOS nicht in der Lage so auszudrucken,
wie ich das moechte. Er macht aus der Courier eine so duenne Schrift, dass
ich sie nicht verwenden will.

So wie ich nicht vorschreiben will und werde wie ein Braille-Schriftstueck
sich anzufuehlen hat sollte mir auch kein Blinder vorschreiben wollen, wie
ein Schwarzdruckschriftstueck aussehen soll.<<

Vorher habe ich mich noch zu den Realitaeten heute geaeussert, wo es oft auf
jede Menge Schnick-Schnack hinauslaeuft (WWW) und das inhaltlich kritisiert.
Der auch hier letzte Absatz, auf den allein sich Ilsabe bezog, steht dann
aber immer noch. Er sagt nicht mehr und nicht weniger als: Schuster, bleib
bei Deinem Leisten. Wenn Du heute z.B. eine Ausgabe eines Magazins
sehen/lesen koenntest, nehmen wir den Stern, dann wuesstest Du, dass es sich
bei den Textartikeln um Werbeumgebung handelt. Die leistet sich der
Herausgeber/Verlag, damit er die Werbung bekommt. Und so sehen viele
Kundenzeitschriften aber auch angeblich journalistische Erzeugnisse etc.
auch aus. Auch der Stern ist nur ein Beispiel. Und wer die Diskussionen um
das neue Layout der ZEIT mitbekommen hat (die konnte man auch im Text
nachlesen) wird meine Einstellung verstehen, zumindest nachvollziehen
koennen. Wenn dort, oder im Focus, stern, HOER ZU ... z.B. Quark (win/mac)
eingesetzt wird, dann ist das nichts, was irgendein Chef mit blinden
Mitarbeitern diskutieren wuerde. Da geht es um Hauslizenzen. Allenfalls
liesse man ein paar DOSEN uebrig fuer rein textuelle Arbeiten.

Wird meine Einstellung nun deutlicher? Manchmal verkuerze ich in meinem
Wunsch es nicht zu lang werden zu lassen bis zur Unkenntlichkeit.

Und nun noch zu Chefs und Allueren und so: es gibt eine Verwaltungstheorie
und eine Lebenspraxis. Viel gemeinsam haben die nicht. Verwaltung arbeitet
noch immer nach dem Prinzip groesstmoeglicher Sicherheit, Wirtschaft nach
dem Prinzip groessten Profits. Das sind aber nur die Prinzipien. Die Praxis
in der Wirtschaft sieht z.B. so aus, dass bis zu zwei Dritteln der Arbeit
von Fuehrungskraeften darin besteht, andere Fuehrungskraefte klein zu
halten, keine ernste Konkurrenz aufkommen zu lassen. Das ist Inhalt
ausufernder Meetings. Und da kann es passieren, dass Deine Haltung zu einem
neuen Logo als Instrument genutzt wird (Dein Chef gegen den Chef von
Controlling, Deine Meinung gegen deren Meinung) und sogar gewinnt. Genauso
kann es umgekehrt sein. Es geht dabei nicht darum, ob ein Logo Inhalt hat
oder nicht. Es geht um Macht.

Und innerhalb einer Abteilung geht es auch darum: die Idee Deines Chefs
gegen Deine Idee. Wer ist der Staerkere? Das hat mit dem Inhalt nichts zu
tun. Und das aufzuzeigen war meine Absicht.

>>Deine Sensibilitaet gegenueber der Weltsicht von Behinderten <<

Was soll denn das sein? Gibt es denn "die Weltsicht der Behinderten" oder
gibt es Millionen Weltsichten von Millionen Menschen? Das steckt hinter dem
von mir genutzten Begriff der "Normalisierung". Wer an eine Weltsicht der
Behinderten glaubt grenzt aus. Meist sich selbst. Ich habe mich z.B. in
meiner Nachricht nicht geaeussert, ob ich das nun gut finde. Aber die Welt
sehe ich so: Behinderte, wenn sie denn wirklich eine homogene Gruppe waeren,
werden marginalisiert, an den Rand gedraengt. Und wenn es denn gemeinsame
Interessen gibt, nehmen wir als Beispiel mal "Barrierefreiheit", dann kann
man sich besser dafuer einsetzen, wenn man um das Desinteresse der Restwelt
daran weiss.

Noch ein Beispiel zur Erlaeuterung (ich hasse meine Ausfuehrlichkeit!):
blinde Juristen sind gelegentlich unter den blinden Berufstaetigen. Und in
der Kantine reden die sehenden Juristen nun: "der hat sein Examen wohl nur
bekommen, weil er blind ist. Duerftige Argumentation, schlecht vorbereitet."
Mag nun sein, mag nicht sein. Zumindest ich glaube, dass der blinde Jurist
eher besser vorbereitet war. Aber das aendert ja die Welt nicht. Ob es mir
passt oder nicht. Und ein schlechter Jurist kann (und darf!) er wohl auch
als Blinder sein.

Oder noch ein Beispiel: "Ein Bild sagt mehr als 1000 Woerter." Da stimmen
fast alle Sehenden spontan zu. Was steckt fuer die Berufs- und
Lebenssituation blinder Menschen hinter diesem "Allgemeinwissen"?

>>Es bedeutet m.E. auch, die besondere Erlebensweise, mit
der Behinderte auf die Welt, in der sie leben, reagieren, mit in die
Gedankenwelt nicht-Behinderter einzubeziehen und auch anzuerkennen.<<

Ist die Welt so gut? Sollte ich da was verpasst haben? Nun, hoffentlich sind
zumindest meine Erfahrungen und Beobachtungen nun klarer geworden. Ich gehe
z.B. davon aus, dass man die Hintergruende besser klar bekommt, wenn man die
Frage stellt: wem nuetzt es?

Einen schoenen Sonntag noch, ich fahre jetzt meine Tochter in die
Taubblindenanstalt, eine Fahrt, auf die ich mich schon seit mehr als einer
Woche freue ;-). Sie gehoert zu zwei Dritteln der Blindenselbsthilfe, ist
also ein Hort der Weltsicht der Blinden (aber das koennen wir vielleicht bei
Interesse woanders diskutieren)

lieben Gruss, Wolf

Wolf-Dietrich Trenner
Foerdergemeinschaft fuer Taubblinde e.V.
http://selbsthilfe.seiten.de