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Re: Aesthetik oder Dokumentgestaltung



Hallo taubblinde
Hallo Wolf,
Hallo Ihr uebrigen leserInnen,
den unten aufgefuehrten Ausfuehrungen von Wolf schliesse ich mich voll an!
Bei aller Integration, die wir uns erkaempfen und die, wenn auch oft nur
zaehneknirschend, man uns gewaehrt, ist doch festzuhalten, dass wir bei aller
"Weltsicht" _immer Informationsdefizite haben werden, die uns auch kein
Hilfsmittel zugaenglich machen kann. Ich fuehlte mich zur Stellungnahme zu
dieser Diskussion aufgerufen, als Wolf sein Beispiel mit dem Bild, "...das
mehr als 100 Worte sagt..". Wenn sich Sehende begegnen oder sich ueber
eine Sache unterhalten und dabei ein Bild oder eine Schriftvorlage zum
Gespraechsthema haben, werden visuell bereits soviele Informationen
ausgetauscht (Blickkontakt, Mienenspiel, usw), bevor ueberhaupt ein Wort
gewechselt wurde. ... Diese Informationen gehen schlicht an uns vorbei.
Beispiel: Ein Blinder/Sehbehindeter hat ein Schriftstueck verfasst
(formgerecht und fehlerfrei). Es sieht gut aus, entspicht aber nicht der
unter sehenden gaengigen optischen darstelung. Hat der Sehende (oder Chef)
Takt, und schaetzt den Mitarbeiter, so wird er sagen, gut aber hier und
dort sollten Aenderungen vorgenommen werden, die eben den Vorstellungen
des Chefs und den gaengigen Normen entsprechen.
Hat er keinen Takt, wird er das Schriftstueck nehemn,  es von einer
nicht-behinderten/blinden Person erneut schreiben lassen. Der Blinde
wird dann in Zukunft eben Schreibarbeiten zugewiesen bekommen, ddie er
zufriedenstellend erledigt unter Zuhilfenahme seines Hifsmittels,
damit hat sich's dann. Der Blinde ist integriert (den Anspruechen ist
Genuege getan), aber der Mensch wurde ignoriert.

         Gruss       Ferdinand


Du meintest am 25.04.99 zum Thema "Re: Aesthetik oder Dokumentgestaltung":

> Andreas,
>
> da Ilsabe mich nur ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen
> zitiert hat nochmal die Umgebung und meine Aeusserung im Sinn:
>
> >>Egal womit gearbeitet wird: der Benutzer sollte sich
> >>auskennen. Dann kann
> man sowohl im alten Word 5.0 als auch in Winword Makros und
> Vorlagen einsetzen und anpassen. Wer mir jedoch erklaerte, er
> brauche die von mir als Chef vorgeschriebene Software nicht
> weil sowieso das Ergebnis "Schnick-Schnack" waere, der haette
> an seinem Arbeitsplatz nicht mehr viel Freude. Bringt er mir
> die gleichen Ergebnisse, dann koennte er erklaeren was immer.
> Mein LaserJet 5 ist aber unter DOS nicht in der Lage so
> auszudrucken, wie ich das moechte. Er macht aus der Courier
> eine so duenne Schrift, dass ich sie nicht verwenden will.
> 
> So wie ich nicht vorschreiben will und werde wie ein
> Braille-Schriftstueck sich anzufuehlen hat sollte mir auch
> kein Blinder vorschreiben wollen, wie ein
> Schwarzdruckschriftstueck aussehen soll.<< 
> 
> Vorher habe ich mich noch zu den Realitaeten heute geaeussert,
> wo es oft auf jede Menge Schnick-Schnack hinauslaeuft (WWW)
> und das inhaltlich kritisiert. Der auch hier letzte Absatz,
> auf den allein sich Ilsabe bezog, steht dann aber immer noch.
> Er sagt nicht mehr und nicht weniger als: Schuster, bleib bei
> Deinem Leisten. Wenn Du heute z.B. eine Ausgabe eines Magazins
> sehen/lesen koenntest, nehmen wir den Stern, dann wuesstest
> Du, dass es sich bei den Textartikeln um Werbeumgebung
> handelt. Die leistet sich der Herausgeber/Verlag, damit er die
> Werbung bekommt. Und so sehen viele Kundenzeitschriften aber
> auch angeblich journalistische Erzeugnisse etc. auch aus. Auch
> der Stern ist nur ein Beispiel. Und wer die Diskussionen um
> das neue Layout der ZEIT mitbekommen hat (die konnte man auch
> im Text nachlesen) wird meine Einstellung verstehen, zumindest
> nachvollziehen koennen. Wenn dort, oder im Focus, stern, HOER
> ZU ... z.B. Quark (win/mac) eingesetzt wird, dann ist das
> nichts, was irgendein Chef mit blinden Mitarbeitern
> diskutieren wuerde. Da geht es um Hauslizenzen. Allenfalls
> liesse man ein paar DOSEN uebrig fuer rein textuelle Arbeiten.
> 
> Wird meine Einstellung nun deutlicher? Manchmal verkuerze ich
> in meinem Wunsch es nicht zu lang werden zu lassen bis zur
> Unkenntlichkeit. 
> 
> Und nun noch zu Chefs und Allueren und so: es gibt eine
> Verwaltungstheorie und eine Lebenspraxis. Viel gemeinsam haben
> die nicht. Verwaltung arbeitet noch immer nach dem Prinzip
> groesstmoeglicher Sicherheit, Wirtschaft nach dem Prinzip
> groessten Profits. Das sind aber nur die Prinzipien. Die
> Praxis in der Wirtschaft sieht z.B. so aus, dass bis zu zwei
> Dritteln der Arbeit von Fuehrungskraeften darin besteht,
> andere Fuehrungskraefte klein zu halten, keine ernste
> Konkurrenz aufkommen zu lassen. Das ist Inhalt ausufernder
> Meetings. Und da kann es passieren, dass Deine Haltung zu
> einem neuen Logo als Instrument genutzt wird (Dein Chef gegen
> den Chef von Controlling, Deine Meinung gegen deren Meinung)
> und sogar gewinnt. Genauso kann es umgekehrt sein. Es geht
> dabei nicht darum, ob ein Logo Inhalt hat oder nicht. Es geht
> um Macht. 
> 
> Und innerhalb einer Abteilung geht es auch darum: die Idee
> Deines Chefs gegen Deine Idee. Wer ist der Staerkere? Das hat
> mit dem Inhalt nichts zu tun. Und das aufzuzeigen war meine
> Absicht. 
> 
> >>Deine Sensibilitaet gegenueber der Weltsicht von Behinderten
> >><< 
> 
> Was soll denn das sein? Gibt es denn "die Weltsicht der
> Behinderten" oder gibt es Millionen Weltsichten von Millionen
> Menschen? Das steckt hinter dem von mir genutzten Begriff der
> "Normalisierung". Wer an eine Weltsicht der Behinderten glaubt
> grenzt aus. Meist sich selbst. Ich habe mich z.B. in meiner
> Nachricht nicht geaeussert, ob ich das nun gut finde. Aber die
> Welt sehe ich so: Behinderte, wenn sie denn wirklich eine
> homogene Gruppe waeren, werden marginalisiert, an den Rand
> gedraengt. Und wenn es denn gemeinsame Interessen gibt, nehmen
> wir als Beispiel mal "Barrierefreiheit", dann kann man sich
> besser dafuer einsetzen, wenn man um das Desinteresse der
> Restwelt daran weiss.
> 
> Noch ein Beispiel zur Erlaeuterung (ich hasse meine
> Ausfuehrlichkeit!): blinde Juristen sind gelegentlich unter
> den blinden Berufstaetigen. Und in der Kantine reden die
> sehenden Juristen nun: "der hat sein Examen wohl nur bekommen,
> weil er blind ist. Duerftige Argumentation, schlecht
> vorbereitet." Mag nun sein, mag nicht sein. Zumindest ich
> glaube, dass der blinde Jurist eher besser vorbereitet war.
> Aber das aendert ja die Welt nicht. Ob es mir passt oder
> nicht. Und ein schlechter Jurist kann (und darf!) er wohl auch
> als Blinder sein.
> 
> Oder noch ein Beispiel: "Ein Bild sagt mehr als 1000 Woerter."
> Da stimmen fast alle Sehenden spontan zu. Was steckt fuer die
> Berufs- und Lebenssituation blinder Menschen hinter diesem
> "Allgemeinwissen"? 
> 
> >>Es bedeutet m.E. auch, die besondere Erlebensweise, mit
> der Behinderte auf die Welt, in der sie leben, reagieren, mit
> in die Gedankenwelt nicht-Behinderter einzubeziehen und auch
> anzuerkennen.<< 
> 
> Ist die Welt so gut? Sollte ich da was verpasst haben? Nun,
> hoffentlich sind zumindest meine Erfahrungen und Beobachtungen
> nun klarer geworden. Ich gehe z.B. davon aus, dass man die
> Hintergruende besser klar bekommt, wenn man die Frage stellt:
> wem nuetzt es? 
> 
> Einen schoenen Sonntag noch, ich fahre jetzt meine Tochter in
> die Taubblindenanstalt, eine Fahrt, auf die ich mich schon
> seit mehr als einer Woche freue ;-). Sie gehoert zu zwei
> Dritteln der Blindenselbsthilfe, ist also ein Hort der
> Weltsicht der Blinden (aber das koennen wir vielleicht bei
> Interesse woanders diskutieren) 
> 
> lieben Gruss, Wolf
> 
> Wolf-Dietrich Trenner
> Foerdergemeinschaft fuer Taubblinde e.V.
> http://selbsthilfe.seiten.de