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Was wissen wir schon? was Kurzschrift und Null-Bock-Generation



Hallo, Eberhard, Hallo, zusammen,

Eberhard verweist in seiner Mail zu diesem Thema auf die Marburger
Beitraege, in denen ein Blindenlehrer aus Ilvesheim tatsaechlich
behauptet hat, man solle doch bitteschoen aus Integrationsgruenden die
Kurzschrift abschaffen - sie verhindere sogar, dass die Kinder das
Rechtschreiben lernten, das heutzutage extrem wichtig sei.
Ich kann mich an diesen Artikel gut entsinnen, und moechte kurz auf
eine Untersuchung von Erwin Denninghaus (1992?) zu sprechen kommen.
Denninghaus liess Sehgeschaedigte in ihrer gewohnten Leseart und darauf
in einer ungewohnten einen vergleichbar schwierigen Text lesen. Es
wurden: Kurzschrift, Vollschrift, Computerbraille und OPTACON bei den
Blinden sowie Kurzschrift, Vollschrift, Grossdruck und Arbeit mit
Grossbildschirm verglichen. Es stellte sich heraus, dass jeder
Teilnehmer mit dem Medium, das er am haeufigsten nutzte, am besten
zurechtkam, d. h. die beste Textauffassung und die hoechste Lese-
geschwindigkeit aufwies. Ueberraschenderweise hatten die Kurzschrift-
leser keinen signifikanten Vorteil vor den Vollschriftlesern.

Heisst das, der Ilvesheimer Lehrer hatte Recht: Schafft die Kurz-
schrift ab, und niemand erleidet Verluste?
Denninghaus sagt selbst, eine solche Interpretation sei unangemessen.
Bisher haben doch viele Kurzschrift lernen muessen, auch wenn sie es
nicht wollten. Wer dann doch bei Vollschrift blieb, musste sich eben
besonders anstrengen, um sich und der Welt zeigen zu koennen, dass er
die Kurzschrift nicht brauchte. 
Was wissen wir also?
Nichts!

Und was sollte nun folgen?
1. eine Reform der Kurzschrift, so dass endlich alle ihre Nutzer damit
   in den naechsten 50 Jahren gut leben koennen,
2. Zeit, bis sich diese Schriftform durchgesetzt hat (ca. 10 Jahre),
3. kein Zwang, Kurzschrift par tout lernen zu muessen,
4. ein fairer Vergleich in folgender Art:
   repraesentative Stichprobe aller Punktschriftnutzer (200 Personen),
   davon je 50: Kurzschriftgewohnte, die Kurzschrift lesen, Kurz-
      schriftgewohnte, die Vollschrift lesen, Vollschriftgewohnte, die
      Vollschrift lesen und Vollschriftgewohnte, die Kurzschrift lesen.
   Jede Versuchsgruppe sollte mindestens sechs Monate die entsprechende
   Darstellungsform probieren, und es ist zu pruefen, wer
   a. an welchem Punkt der Lesefaehigkeit endet und
   b. am meisten an Lesefaehigkeit dazulernt.

Wenn die Kurzschrift wirklich das bessere Medium ist, dann sollten
Leser, die schon etwas Kurzschrift koennen, sie aber bisher noch nicht
anwandten, sie nun aber sechs Monate lang praktizieren, wesentlich
mehr dazulernen als Leute, die von Kurzschrift jetzt auf Vollschrift
umsteigen, etwa, weil sie mehr mit dem PC arbeiten moechten.

Ist doch etwas lang geworden, Entschuldigung.

Herzliche Gruesse aus Magdeburg sendet Euch        Arne Harder
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Institutional (dienstliche): Dr. Arne Harder, Institut fuer Medizinische
   Psychologie, Medizinische Fakultaet, Leipziger Strasse 44,
   D-39120 Magdeburg. Tel. 0049-391-6354120.
   E-Mail: harder_bEi_medizin.uni-magdeburg.de