[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Schulbildung WAS: NF-Umschalter



Hallo Forum, hallo Andreas!
(Der Bezugstext ist unten angehaengt)

Die Erwartung an Schule und was sie vermitteln soll, steigt staendig.
Immer neue Bereiche werden aufgenommen, ohne dass alte abgesetzt werden.
Dies kann auf die Dauer natuerlich nicht funktionieren. Als z.B. die
zeitintensive Computerarbeit eingefuehrt wurde, haette auch bestimmt
werden muessen, was eingeschraenkt werden soll. 

Angesichts der Menge angesammelten Wissens kann Schule nur eine
Grundbildung realisieren und im guenstigsten Falle die Faehigkeit des
Weiterlernens vermitteln. 

Was nun zu dieser Grundbildung gehoeren soll, wird von Privatpersonen und
Interessengruppen sehr unterschiedlich gesehen. Da gibt es nur
Interessenlagen und keine absolute Wahrheit. Ueber Lernbereiche und
-inhalte wird politisch entschieden (nicht durch die Schule) und mit
dieser Entscheidung wird niemand voellig zufrieden sein. 

Nun zu deinen Vorwuerfen gegen die Blindenschule Hamburg:

Jahrgangsuebergreifende Klassen werden gebildet, wenn eine Jahrgangsstufe
die vorgegebene Klassenfrequenz erheblich unterschreitet. Die
Lehrerstundenzuweisung orientiert sich an der Klassenfrequenz. Befinden 
sich in  einem Jahrgang beispielsweise nur fuenf SchuelerInnen, steht
dieser Klasse auch nur die Haelfte der Lehrerstunden zu. Die Klasse wuerde
also nur den halben Vormittag unterrichtet werden koennen. 
Da dies natuerlich nicht vertretbar ist, werden Klassen zusammengelegt. 
Die Zusammenlegung ist also nicht der Wunsch der Schule, sondern die
Vorgabe der Behoerde. 

Die Schuelerschaft in den Blindenschulen hat sich uebrigens im letzten
Jahrzehnt stetig veraendert, d. h. die "nur blinden" SchuelerInnen sind
seltener, Mehrfachbehinderungen nehmen zu. 

Du beklagst das Lernpensum der Hamburger Blindenschule im Vergleich zur
Heinrich-Hertz-Schule. Ich bezweifele, dass man so zwei Schulen
miteinander vergleichen kann. Das wuerde ja voraussetzen, dass
beispielsweise jede fuenfte Klasse an der HH den gleichen Leistungsstand
haette. Das Lerntempo ist von verschiedenen Faktoren abhaengig, z.B. vom
Fach, der Lehrkraft usw. Der wichtigste Faktor ist die Klasse selbst.
Deren Leistungsfaehigkeit ist Abhaengig von der konkreten Zusammensetzung
und schwankt auch im Laufe der Schulzeit. 

Deine pauschale Kritik an der Blindenschule Hamburg, die auf Hoeren/Sagen
beruht, halte ich fuer unangemessen. Sie diskriminiert letztlich die dort
arbeitenden KollegInnen. 

Selbst die Behoerde musste erneut in einer Studie einraeumen, dass die
Jahresarbeitszeit Hamburger Lehrer erheblich ueber der des Oeffentlichen
Dienstes liegt. 

Die Behoerde, die Gesellschaft und die Elternschaft stellen immer hoehere
Anforderungen an die Schule. Die soll reparieren, was an anderer Stelle
schief gelaufen ist. Gleichzeitig wird die Lehrerarbeitszeit stetig
erhoeht.

Ich weiss, was an der Blindenschule und auch bei uns an
der Handelsschule an unbezahlten Ueberstunden geleistet wird. Es ist
eigentlich kaum noch zu verstehen, dass so viele KollegInnen zu
freiwilliger zusaetzlicher Arbeit bereit sind. 

Andreas Donau schrieb:
> 
> Hallo Matthias, hallo alle,
> 
> -----Urspruengliche Nachricht-----
> Von: Matthias Haenel <kontakt_bEi_matthias-haenel.de>
> An: <fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de>
> Gesendet: Donnerstag, 16. September 1999 22:40
> Betreff: Schulbildung WAS: NF-Umschalter
> 
> > > (Niederfrequenz) gibt, weiss heute eigentlich jeder mittelmaessig an
> > > Naturwissenschaften interessierte Schueler. Dass diese Faecher auf
> > > Blindenschulen straeflich vernachlaessigt werden, ist ne andere Sache
> 
> > Hallo Andreas! Ich bin sicher, dass es auch sehende mit Abitur ausgeruestete
> > Mitmenschen gibt, die mit diesen Begriffen nichts anfangen koennen. In
> > diesen Faellen ist man gemeigt, dies kommentarlos zur Kenntnis zu nehmen.
> > Fehlt ein entsprechendes Wissen in unseren Kreisen, zweifelt man gleich an
> > der Qualitaet der Schulbildung seitens der Blindenschulen. Da Lehrer nicht
> 
> da magst Du recht haben - ich beurteile natuerlich von meinen
> Schulerfahrungen aus, und die sind aus den 70- und 80-er Jahren - genau
> genommen hab ich eine kleine "Schulodysee"  hinter mir: als ich noch sehen
> konnte, galt ich als Grenzfall zwischen Sehbehinderung und
> Normalsichtigkeit. Das fuehrte zu haeufigeren Schulwechseln, nach der
> Erblindung dann die "echte" Blindenschule (Blista Marburg).
> 
> Damals hatte ich bereits auf der Sehbehinderten-Realschule in Berlin
> (Hermann-Herzog-Schule, Wedding)  einen guten Mathematikunterricht und
> allgemein guten Unterricht in naturwissenschaftlichen Faechern.  Dass ich
> davon auch was behalten hab, liegt sicher  auch an dem starken persoenlichen
> Interesse: aber die Schule hatte das Angebot. Ebenso die
> Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg (da waere es von wegen des Namenspatrons
> auch ein Unding, wenn nicht).
> 
> Aber auch die Blista bot da in den 70ern und fruehen 80ern viel: neben einem
> guten Kursangebot in der Oberstufe auch Freizeit-AGs.
> 
> Mein Wissen ueber die heutige Situation an Blindenschulen stammt von
> Schuelern, die dort zur Zeit beschult werden oder in den 90ern wurden Was mir
> an deren Schilderungen negativ aufgefallen ist:
> 
> es werden jahrgangsuebergreifende Klassen gebildet, wie auf einer
> Zwergschule.
> Es werden auch offensichtlich lernbehinderte Schueler in den Regelklassen mit
> "durchgezogen", was zu Lasten der normalbegabten Schueler geht.
> Das Lernpensum an den Blindenschulen haengt gut ein halbes Schuljahrhr hinter
> dem vergleichbarer Jahrgaenge auf Regelschulen hinterher - so haben mir z.B.
> Leute berichtet, die von der Hamburger Blindenschule auf die
> Heinrich-Hertz-Schule wechselten. Und das auch in Englisch, also nicht nur
> in den naturwissenschaftlichen Faechern.
> 
> Natuerlich: der BdI und andere Unternehmerverbaende, aber auch die
> Hochschulrektorenkonferenz haben das Bildungsniveau an den
> allgemeinbildenden Schulen schn oefter heftig kritisiert:  mangelhafte
> Fertigkeiten in Grundkenntnissen der deutschen Sprache, der Mathematik,
> Naturwissenschaften, Fremdsprachen.  All das iind heute
> Schluesselfertigkeiten fuer ein Zurechtfinden in der modernen Lebens- und
> Arbeitswelt - gerade auch technische und naturwissenschaftliche
> Grundkenntnisse, wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und
> Sprachkenntnisse, sowohl im Deutschen wie auch in Fremdsprachen.
> 
> Warum ich denn bei Blindenschulen besonders kritisch bin?
> 
> Weil ein Blinder - und das gilt wohl auch fuer andere Behinderte, egal, ob
> mobilitaetsbehindert oder sinnesgeschaedigt - eben nur seinen Kopf hat um die
> Behinderung zu kompensieren: sowohl bei der Bewaeltigung des Alltags wie auch
> beim Konkurrenzkampf mit den nicht-Behinderten in der Arbeitswelt.
> 
> Daher sollten die sprachlichen, mathematischen Faehigkeiten, die Faehigkeit
> zum Erfassen abstrakter Sachverhalte (auch ohne Zurhilfenahme bunter
> Bildchen) , die Faehigkeit zum schnellen Umdenken und Lernen gerade bei
> behinderten Schuelern gefoerdert werden. Nur so sind sie meiner Meinung nach -
> und ich bin nun schon ein paar Jahre unter lauter sehenden Kollegen im
> Beruf - faehig, sich den Anforderungen des modernen, ueberwiegend
> "kopfbetonten" Arbeitslebens anzupassen.
> 
> Da sind jahrgangsuebergreifende Klassen oder Beschulung zusammen mit
> lernschwachen Schuelern wenig foerderlich.
> 
> Ein Lehrer in marburg (Karl Britz, wer ihn noch kennt), sagte einst, dass ein
> Blinder mehr leisten muesse, um den gleichen Platz einnehemn zu koennen wie
> ein sehender Mitbewerber.  Damals hab ich ihm aus Unwissenheit heraus
> widersprochen - heut muss ich ihm rechtgeben.
> 
> Nach dem, was ich von den Leuten, die heut auf Blindenschulen gehn, hoerte -
> ich sprach hauptsaechlich mit Leeuten aus Hamburg, aber auch mit einem, der
> jetzt auf der Blista ist und einem, der in Soest war - sieht es da nicht
> gerade optimal aus.
> 
> Gruss
> 
> Andreas







-- 
Staatliche Handelsschule fuer Blinde und Sehbehinderte Hamburg
0405143110 priv 0405209558 www.hh.schule.de/hblin gheimann_bEi_t-online.de