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Screenreader-Prinzipien war: Re: Internetprojekt fuer Blinde
- Subject: Screenreader-Prinzipien war: Re: Internetprojekt fuer Blinde
- From: "Andreas Donau" <Andreas.Donau_bEi_gmx.de>
- Date: Tue, 27 Apr 1999 23:39:10 +0200
Hallo Jens-Uwe,
-----Urspruengliche Nachricht-----
Von: Jens-Uwe Voigt <fr4a008_bEi_uni-hamburg.de>
An: fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de
<fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de>
Datum: Dienstag, 27. April 1999 12:24
Betreff: Re: Internetprojekt fuer Blinde
>Lautsprecher angeht, frage ich mich ohnehin, wie gross die Arbeitsplaetze
>fuer Blinde und Sehbehinderte auf die in der Testinfo beschriebene Weise
>werden sollen. Da waere es schon ein anderes Ding, wenn man mit
"Bruellwuerfel", sprich Aktivboxen fuer PC-Sounkkarten muessen nicht gross sein -
ich habe fuer die Eloquence am Arbeitsplatz auch 2 kleine Boexchen. Allerdings
liesse sich damit wohl keine optimale 2-D-Orientierung erzielen - aber fuer
die Sprachausgabe reichts. Und meine Vorlesekraft und ich haben ein Buero fuer
uns - da geht das dann auch mit der Sprachausgabe. Ich bin sowieso ein
Mensch, der lieber mit Sprache arbeitet als mit Braille, denn als
spaeterblindeter habe ich zwar Braille lesen gelernt, es aber nie auf echte
Geschwindigkeit gebracht, schon gar nicht in Vollschrift auf einer Zeile. Da
bin ich mit Sprache weit schneller bei der Arbeit.
>Deine Einschaetzung ueber Screenreader kann ich zwar noch nicht aus eigener
>Erfahrung bestaetigen, weil ich noch unter Dos arbeite. Die Konzepte, von
>denen ich auch hier in FBLINU hoere, klingen aber tatsaechlich so, als ob
>es effektiver ist, z.B. Bildcheninfos fuer Schaltflaechen zum anklicken
>ueber das definieren von Bitmaps zugaenglich zu machen. Auch wenn dann die
>Umsetzung natuerlich anders aussieht als fuer Sehende, muss da kein
>unueberbrueckbares ARbeitshindernis entstehen, das uns ausgrenzt. Blinde
>und Sehbehinderte und sehende "sehen" die Welt eben mit verschiedenen
>Augen.
Ich will mal versuchen, diesen Absatz von Dir als Anregung zu nutzen, meine
Gedanken zum "guten Screenreader " zu virtuellem Papier zu bringen:
Der beste Screenreader ist eine sehende Assistenzkraft, insbesondere, wenn
sie mich und meine Arbeitstechnik am PC kennt. Sie wird mir kontextbezogen
immer das vorlesen, was fuer mich wichtig ist und mich rechtzeitig auf
Systemmeldungen oder Bildschirmveraenderungen hinweisen, die von mir
Reaktionen erfordern.
Je besser ein Screenreader an diese Funktionalitaet - man verzeihe mir dieses
Wort auf einen Menschen bezogen - herankommt, desto geeigneter ist er.
Nun wuerde sicher keine eingespielte Vorlesekraft mich auffordern, die Maus
in die Hand zu nehmen und damit wild auf dem Bildschirm herumzufuhrwerken -
denn sie wuesste wohl kaum, wie sie mir das Navigieren mit dem Mauszeiger
schnell und ohne mich akustisch zu ueberfordern umsetzen sollte. Und schon
gar nicht wuerde sie Geraeusche nachahmen, um mir zu sagen, wenn ich z.B. auf
dem Drucksymbol gelandet waere - wie sollte sie auch, ohne laecherlich zu
wirken, das Geraeusch eines Nadeldruckers imitieren?
Ein Screenreader sollte mir also ansagen, wo ich mich gerade auf dem
Bildschirm befinde, was dort steht und was es auf dem Bildschirm
repraesentiert - ob es sich um ein Symbol, den Titel eines Eingabefeldes,
eine Schalterbeschriftung oder den Eintrag in einer Liste handelt. Weiter
sollen mir Dialogfelder, Warnhinweise und andere Reaktionsaufforderungen
automatisch vorgelesen werden und, falls vorhanden, die
Eingabealternativen - ja, nein ausrasten - praesentiert werden und ein
Hinweis erfolgen, welche ich mit einem "Return" gerade auswaehlen wuerde.
Das sind Standardfunktionen, die wohl auch die meisten Screenreader heute
beherrschen. Sie sind aber streng genommen eindimensional.
Dabei ist die Einbeziehung der zweiten Dimension in den Output eines
Screenreaders eigentlich ein sehr guter Weg - denn der Bildschirm des
sehenden Anwenders ist ja auch flaechig und nicht ein Einzeilendisplay, wie
das Braillezeile oder eine zeilenweise lesende Sprachausgabe sind. So war
die TASO der Audiodata-Entwickler fuer den statischen Dos-Bildschirm mit 25
Zeilen a 80 Zeichen eine sehr gute Idee, und ist ja von anderen
Dos-Screenreadern mit sog. "Lesemodi" u.ae. weidlich nachgeahmt worden.
In Windows heisst das fuer mich z.B., dass ich in einer Reihe von
Auswahlschaltern nicht nur automatisch angesagt bekommen moechte, auf welchem
Schalter ich mit dem Focus gerade stehe, welchen ich also beim Anklicken
betaetigen wuerde, sondern ich moechte zumindest auch wissen, wo ich im
Verhaeltnis zur Gesamtschalterreihe gerade stehe - etwas, das ein Sehender
auf "einen Blick" erfaehrt. Mein Screenreader sagt mir also an: "2-Zeilig -
Auswahlschalter - nicht aktiviert - 2 von 5". Ich weiss also, es gibt noch 4
andere Stellungen, und ich stehe auf der 2. Moeglichkeit - ich kann mir dann
schon denken, dass eine Position hoeher der Schalter fuer 1-Zeilig zu finden
ist usw. Auch auf der Braillezeile kann man das so darstellen, dass hinter
dem Status des Schalters z.B. 2/5 steht. Ich hielte es fuer recht nervig, so
etwas z.B. durch Geraeusche - etwa einen hohen Piepston fuer den Anfang der
Schalterreihe und einen nur etwas niedrigeren fuer die aktuelle Position und
einen ganz tiefen als Repraesentanz dafuer, dass noch recht viele Schalter
folgen - darzustellen (man stelle sich wieder die pfeifende Vorlesekraft
vor, um zu sehen, wie absurd diese Vorstellung eigentlich ist.).
Weiter sollte ein Screenreader in der Lage sein, strukturierten Text
sinnreich vorzulesen - z.B. 2-spaltigen Text auch zweispaltig und nicht
nacheinander Zeile 1 von Spalte eins und zwei.
Am schwierigsten wird das Ganze wohl in Arbeitsblaettern von
Tabellenkalkulationen. Denn wenn ich mich in einer Tabelle mit 40 Reihen a
15 Spalten bewege, weiss ich natuerlich meist in der vierten Zeile und der
dritten Spalte nicht mehr, was als horizontale und vertikale Titel der
zelle, sozusagen als die zellueberschriften, steht. Klassisch 2-dimensional -
und fuer den Sehenden meist kein Problem, insbesondere dann, wenn man den
bildschirm so einstellen kann, dass die Titelzeilen und -spalten nicht
mitgescrollt werden. Da haben die hersteller meines Screenreaders JFW eine
nette Idee entwickelt: in der naechsten Version 3.3 soll es die Moeglichkeit
geben, in einer Tabelle die Titelspalte(n) und die Titelzeile(n) zu
markieren, so dass der Screenreader sie kennt - und dann liest er, wenn ich
mich z.B. in Zeile 4 nach rechts von Zelle zu zelle bewege, die jeweiligen
Kopfeintraege vor, und wenn ich mich in Spalte 4 von oben nach unten bewege,
die jeweiligen Seitentitel vor. Leider kann mandas nicht wegspeichern,
sondern muss es bei jedem Laden eines Arbeitsblatttes neu einstellen, da es
ja nicht mit der Anwendung als solcher, sondrn mit der jeweils geladenen
Datei verbunden ist. Aber immerhin - ein guter Schritt zur "fast
Vorlesekraft".
Auch das automatische "warnen" bei Fontwechseln usw. soll moeglich werden -
wobei ich persoenlich das wohl i.d.R. abschalten wuerde. Aber wers braucht,
fuer den soll es da sein - und auch die "sehende Vorlesekraft" wuerde
vielleicht sagen "huch, da schreiben Sie mitten im Absatz auf einmal fett
... ist das richtig?"
Irgendwie scheint mir dieses beschreibende Konzept eines Screenreaders,
wobei die Beschreibungen verbalisiert ausgestaltet sind, wesentlich
realitaetsnaeher als jede "Multimediashow" mit Geraeuschen. Anscheinend
vergessen sehende Entwickler oft, dass Blinde viel konzentrierter und auch
laenger gesprochenem Text zuhoeren koennen als Sehende - fuer die waere der
einpraegsame Sound anstatt eines oder mehrerer Worte vielleicht die
angemessenere Art der Darstellung. Aber Sehende brauchen ja keine
Screenreader ...
Gruss Andreas