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Aus der Arbeit des DBSV Vorstandes



Beitrag aus der "Gegenwart", Ausgabe Nr. 10 1999


DBSV-Nachrichten:

Mehr voneinander wissen -
Mehr miteinander tun

Der Vorstand des DBSV tagte am 03. und 04. September in
Bonn. Am Tag zuvor waren die Korrespondierenden Mitglieder
des DBSV zusammengekommen, und auch hierueber wollen wir
eingangs sprechen; Gespraechspartner ist Dr. Alfred Preusse,
DBSV-Vorstandsmitglied aus Dresden:

Worum ging es bei diesem Treffen der Korrespondierenden
Mitglieder?
Dr. Alfred Preusse: Die Zielstellung war, glaube ich, dass
sich gegenseitig informiert wird ueber die jeweiligen
Aktivitaeten.

Von den 28 Korrespondierenden waren ja immerhin 20 anwesend.
Man versucht also, bestimmte Schwerpunkte mehr
gemeinschaftlich anzugehen?
Dr. Alfred Preusse: Ja, die Organisationen der Blinden- und
Sehbehindertenselbsthilfe einerseits und die Einrichtungen
andererseits stehen ja vor einer ganzen Reihe
gemeinschaftlicher Aufgaben. Und es ist besonders wichtig,
dass man moeglichst mit einer Zunge spricht, dass Forderungen
moeglichst auch gemeinschaftlich vertreten werden.

Es vergeht wohl jetzt kein Monat mehr, in dem wir in der
"Gegenwart" nicht ueber "Familiengespraeche" und
"Familiensinn" berichten, dazu gab es in der
Vorstandssitzung reichlich Gespraechsstoff. Was sollen diese
"Familiengespraeche" und was wurde moeglicherweise schon
erreicht?
Dr. Alfred Preusse: Der Hintergrund besteht ja darin, dass
moeglichst alle Erfahrungen, die in den einzelnen
Landesvereinen gesammelt werden, auch durch andere
Landesvereine genutzt werden koennen. Auf der anderen
Seite soll erreicht werden, dass wir moeglichst einen
annaehernd einheitlichen Stand in der Arbeit haben. Es soll
so sein, dass der Spitzenverband die Moeglichkeit hat, dort,
wo es gebraucht wird und dort, wo es gewuenscht wird, zu
helfen.
Praesident Juergen Lubnau und Geschaeftsfuehrer Hans-Dieter
Spaeter haben eine Reihe von Landesvereinen besucht, mit den
Vorsitzenden und mit der Geschaeftsfuehrung gesprochen, nicht,
um jemandem etwas vorzuschreiben, sondern um Erfahrungen
weiterzugeben und um zu hoeren, was ist aus der Arbeit des
jeweiligen Landesvereins hervorzuheben, was wiederum fuer die
Arbeit des DBSV wichtig ist.
Ich halte diese Art persoenlich auch fuer sehr wichtig, weil
sonst die Gefahr besteht, dass jeder so ein bisschen im
eigenen Saft schmort. Hinzu kommt noch eines: Wir haben
Landesvereine, die aus den verschiedensten Gruenden
ausgesprochen effektiv arbeiten koennen, und wir haben
Landesvereine, die auf den verschiedensten Gebieten ihre
Sorgen haben, zum Teil tuechtige Sorgen. Das bezieht sich
nicht allein auf Finanzfragen, sondern auch auf die Art und
Weise wie wir die Arbeit gestalten.
Es soll also familiaer und gemeinschaftlich an die Dinge
herangegangen werden.
Und wenn ich schon mit dem Redakteur der "Gegenwart" dieses
Telefoninterview fuehre, dann sei besonders angemerkt, dass
natuerlich die "Gegenwart" mit eine entscheidende Rolle fuer
das Funktionieren des Familienlebens im Verband spielt. Die
Tatsache, dass die "Gegenwart" ausgesprochen gute Kritiken
bekommt und gerne von vielen unserer Mitglieder gelesen
wird, ist ja auch so etwas wie die Verbreitung des
Familiensinns, die Verbreitung von Erfahrungen, die
Information ueber Aufgaben und Aktivitaeten des Verbandes.
Also das wollen wir, wenn es um Familiensinn geht,
keinesfalls vergessen.

Vom Geld wurde schon gesprochen; auch der Haushalts- und
Stellenplan fuer das Jahr 2000, der Anfang November dem
Verwaltungsrat vorliegen wird, stand zur Debatte. Wiederum
sieht der Haushaltsansatz mehr Ausgaben als Einnahmen vor.
Das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wurde
also nicht erreicht.

Dr. Alfred Preusse: Nein, das stimmt. Der Verwaltungsrat
hatte die Erwartung ausgesprochen, dass ein ausgeglichener
Haushalt vorgelegt wird. Das Problem besteht nur darin - und
das ist das Spannungsfeld, in dem sich auch der Vorstand und
der ganze DBSV bewegt -, dass auf der einen Seite diese
Erwartung ausgesprochen wird, aber zur gleichen Zeit die
Ansprueche an den DBSV groesser und umfangreicher werden; es
werden mehr Dienstleistungen erwartet, wird ueber Marketing
gesprochen und Professionalitaet in der Arbeit. Und das ist
alles nicht zum Null-Tarif zu haben. Hinzu kommt, dass der
Bereich oder das Potential, welches fuer Einsparungen zur
Verfuegung steht, erheblich begrenzt ist. Es gibt eine Reihe
von Aufgaben, die muessen einfach durchgefuehrt werden. Es ist
der huebsche Begriff Manoevriermasse gefallen, und die ist
sehr begrenzt.
Ich gehe davon aus, dass der Verwaltungsrat das auch
akzeptieren wird. Es ist ja sehr verantwortungsbewusst
diskutiert worden, Posten fuer Posten.

Jetzt wollen wir ueberleiten zum Spezialgebiet von Dr. Alfred
Preusse, naemlich zur Elementarrehabilitation, dem
Schwerpunktthema des diesjaehrigen Tages des weissen Stockes.
Wir sprechen ja schon seit vielen Jahren ueber ER - wie man
es auch einfacher sagen kann. Ist es dann ueberhaupt noch
notwendig, dies nun wieder einmal zum Schwerpunkt zu
erheben?
Dr. Alfred Preusse: Wir werden das solange als Schwerpunkt
betrachten muessen, solange es uns nicht gelungen ist, das zu
erreichen, was wir eigentlich wollen, naemlich, dass wir
diejenigen, die weder die Moeglichkeit haben eine schulische
oder eine berufliche Rehabilitation zu erhalten, einen
Rechtsanspruch bekommen auf Elementarrehabilitation. Wir
machen darauf aufmerksam, dass es bei anderen
Behindertengruppen oder bei Unfall bzw. chronischer
Krankheit o. ae. m. ganz selbstverstaendlich ist, dass nach
Operationen usw. eine Rehabilitation bezahlt wird. Und wir
stellen voellig zurecht die Frage: Warum ist es bei dieser
Personengruppe - es handelt sich ja vorwiegend um aeltere
Menschen, die weder schulisch noch beruflich vor einer
Rehabilitation stehen - anders?
Im Prinzip geht es hier eigentlich um die gleichberechtigte
Herangehensweise an solche Rehabilitationsmassnahmen, wie sie
auf anderen Gebieten voellig selbstverstaendlich sind. Es wird
ja vielen Lesern und Hoerern bekannt sein, dass der Vorstand
des DBSV schon im Januar dieses Jahres einen Beschluss gefasst
hat, der die entsprechenden Forderungen formuliert an die
Oeffentlichkeit, an die Kassen, an die Behoerden, an die
Regierung. Nach der Bundestagswahl wurde mit nahezu allen
Ministern gesprochen und dieses Thema unter anderem
immer wieder zur Debatte gestellt. Bei vielen
Ministern sind wir auch auf offene Ohren gestossen. Ob sich
das in praktisches Handeln umsetzt, ist die naechste Frage.
Da muessen wir dranbleiben.

Es erblinden in der Bundesrepublik fast 30.000 Menschen im
Jahr, vorwiegend aeltere Buergerinnen und Buerger. Und oft hoert
man ja von den Angehoerigen: Ach, die Oma braucht das
ueberhaupt nicht mehr; wir sorgen ja fuer sie. Ist damit nicht
eigentlich genug getan? Sie bekommen ja das Blindengeld,
sind bei ihren Angehoerigen gut versorgt. Warum dann noch die
Elementarrehabilitation?
Dr. Alfred Preusse: Es geht in erster Linie um
Eigenstaendigkeit, Selbstaendigkeit; selbstbestimmt etwas
entscheiden zu koennen. Wir machen uns ja auch keine
Illusionen, dass jetzt 30.000 Betroffene zur Rehabilitation
anstehen. Aber viele dieser Betroffenen wollen durchaus
selbstaendiger sein. Sie wissen manchmal gar nicht, welche
Moeglichkeiten es gibt, wieder mobil oder mobiler zu sein,
wieviele Moeglichkeiten es gibt, bestimmte Dinge auch selbst
machen zu koennen, wieviel Hilfsmittel es gibt, die man
nutzen kann, auch die Moeglichkeit, sich auszutauschen, mit
Betroffenen oder mit Fachleuten. Ueber all das muss informiert
werden. In all diesen Richtungen muessen Massnahmen getroffen
werden, und all diese Massnahmen kosten auch Geld.
Wir wollen es gerne so haben, wie es im Grunde beim
O&M-Training selbstverstaendlich ist, obwohl auch dort die
Trainer immer wieder um die entsprechenden Kostensaetze
kaempfen muessen.
Jetzt geht es um den anderen Bereich, der ja auch durch den
Begriff Lebenspraktische Fertigkeiten erfasst wird, dass wir
hier die gleiche Situation bekommen wie beim O&M-Training.

Bis zu diesem Rechtsanspruch wird noch ein Weilchen
vergehen. Aber wir wissen, dass die Landesvereine und auch
die oertlichen Untergliederungen natuerlich etwas tun. Was
kann man also abschliessend Ratsuchenden empfehlen, auch wenn
der Rechtsanspruch im Moment noch nicht besteht?
Dr. Alfred Preusse: Die einzigen, die auf diesem Gebiet etwas
tun, sind tatsaechlich die Landesvereine sowie ihre
Untergliederungen und ihre Einrichtungen. Das ist etwas
verallgemeinert, aber in der Grundrichtung ist es schon so.
Hier wird gezielt gearbeitet, aber wir erreichen natuerlich
nur einen Bruchteil derjenigen, die betroffen sind. Und bei
vielen, die den Weg nicht dorthin finden, spielt die
Kostenfrage neben mangelnder Information eine entscheidende
Rolle. Die Betroffenen moechten sich auf der einen Seite bei
uns Rat holen - dazu ja auch die bundeseinheitliche
Rufnummer und die Oeffentlichkeitsarbeit der Landesvereine
und ihrer Untergliederungen, aber auch immer wieder der
Hinweis gegenueber den Betroffenen, sie moechten selber
gegenueber der Oeffentlichkeit signalisieren, dass es hier eine
Luecke im Gesetz gibt, eine Luecke in der Rechtssicherheit,
die eigentlich der Bundesrepublik Deutschland bei allen
Sparzwaengen nicht sehr gut zu Gesicht steht.

Nutzen wir den Tag des weissen Stockes am 15. Oktober, um auf
diesen Missstand aufmerksam zu machen.
(Das Gespraech fuehrte Dr. Thomas Nicolai, Kassetten-Ausgabe
Originalton)


Dazu erscheint in der Schwarzdruckausgabe ein Bild mit
Dr. Alfred Preusse.


Kurzmeldungen vom Vorstand

In einem Positionspapier hat der DBSV-Vorstand seinen
Standpunkt zu dem in Vorbereitung befindlichen
Gleichstellungsgesetz dargelegt.

Der Louis-Braille-Preis soll kuenftig nicht nur fuer
innovative Hilfsmittel vergeben werden. Preiswuerdig sollen
auch herausragende integrationsfoerdernde Leistungen sein.
Die neuen Richtlinien liegen - ebenso wie ein Vorschlag zur
Schaffung eines Hoerfilmpreises - dem Verwaltungsrat Anfang
November zur Beschlussfassung vor.

Ab Januar 2000 soll die "Gegenwart" nach den Regeln der
neuen Rechtschreibung erscheinen. Die Schwarzdruck-Ausgabe
wird ein verbessertes Erscheinungsbild bekommen; eine
groessere Schrift soll den Beduerfnissen sehbehinderter Leser
noch besser entsprechen.

Im Herbst 2000 wird ein Seminar fuer Korrespondenten und
Autoren der "Gegenwart" stattfinden.

Fuer das Jahr 2000 ist eine deutsch-franzoesische
Jugendfreizeit geplant.

Der BSV Sachsen-Anhalt erhaelt vom DBSV 15.000 DM als Zuschuss
zur Ausstattung der neuen Geschaeftsstelle.

Der DBSV-Vorstand hat sich dafuer ausgesprochen, dass sich der
DBSV fuer das in Planung befindliche Bauvorhaben
Berlin-Hirschgarten engagiert und nach Fertigstellung seine
Geschaeftsstelle von Bonn nach Berlin verlegt.


Antrittsbesuch

Der Verbandstag des DBV (heute DBSV) hatte im vorigen Jahr
u.a.  beschlossen, dass der Verbandssitz kuenftig Berlin sein
soll. Diese und weitere Satzungsaenderungen sind nunmehr
vollzogen und der DBSV zwischenzeitlich beim Vereinsregister
beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg eingetragen worden.
Grund genug, den Deutschen Blinden- und
Sehbehindertenverband beim Regierenden Buergermeister von
Berlin, Herrn Eberhard Diepgen, vorzustellen.  Auf eine
entsprechende Bitte hin empfing Herr Diepgen den
DBSV-Praesidenten am 1. August zu einem Gespraech im "Roten
Rathaus", das in offener, entspannter Atmosphaere stattfand.
Ich konnte Herrn Diepgen zunaechst in grossen Zuegen die
Struktur der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe in
Deutschland einschliesslich des DBSV erlaeutern und
anschliessend einige fuer uns wichtige Themen ansprechen:

1.	Elementarrehabilitation. Berufliche und medizinische
Rehabilitationsmassnahmen sind ordentlich geregelt. Eine
Luecke besteht hinsichtlich der Elementarrehabilitation fuer
aeltere spaeterblindete und sehbehinderte Mitbuergerinnen und
Mitbuerger, die mit solchen Massnahmen fit gemacht werden
koennen und unter Umstaenden noch viele Jahre in der gewohnten
haeuslichen Umgebung leben koennen. Fuer jeden Betroffenen ist
ein am Einzelfall orientiertes Trainingsprogramm (z.B.
Essenstechniken, Kleiderkennzeichnung und -pflege,
Haushaltsfuehrung, Kommunikationstechniken) zu entwickeln.
Herr Diepgen zeigte grosses Verstaendnis, eine einkommens- und
vermoegensunabhaengig finanzierte Elementarrehabilitation fuer
Blinde und Sehbehinderte gesetzlich zu verankern.  Wir
werden unsere Ueberzeugungsarbeit auf allen Ebenen
fortsetzen.

2.	Bedienbarkeit von Geraeten. Moderne Geraete der
Haushalts-, Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik
bieten eine Vielfalt an Nutzungsmoeglichkeiten, sind aber
zumeist so kompliziert, dass sie fuer uns kaum noch bedienbar
sind. Als Beispiele wurden Sensortasten und menuegesteuerte
Bedienerfuehrungen genannt, die nur ueber die Displayanzeigen
zugaenglich sind. Industrie und Handel sind ueber unsere
Beduerfnisse weiterhin nachdruecklich zu informieren; die
Politik kann dabei helfen.

3.	Hoerfilm. Das Verfahren, zusaetzliche Kommentare fuer
Blinde und Sehbehinderte in Filme einzusprechen, wurde
erlaeutert. Nur Hoerfilme ermoeglichen uns eine Teilhabe am
umfangreichen Fernsehangebot und damit einen Schritt zur
gesellschaftlichen Integration. Der Regierende Buergermeister
erklaerte spontan, dass er das "neue Medium Hoerfilm" in seiner
Rede im Rahmen der Eroeffnungsveranstaltung der
Internationalen Funkausstellung am 27. August herausstellen
wird, um alle Fernsehanbieter zu ermuntern, Hoerfilmfassungen
auszustrahlen.
Juergen Lubnau

Sachliche und rechtliche Barrieren beseitigen!

Von Thomas Drerup

DBSV-Praesident Juergen Lubnau, Geschaeftsfuehrer Hans-Dieter
Spaeter und der Rechtsreferent Thomas Drerup sprachen am 17.
Juli 1999 mit der Bundesministerin fuer Justiz, Frau Prof.
Daeubler-Gmelin, sowie mit dem Abteilungsleiter
Ministerialdirektor Dr. Hilger und mit Unterabteilungsleiter
Ministerialdirigent Dr. Lanfermann. Ueber das Gespraech
berichtet Thomas Drerup:

Die Schaffung eines Gleichstellungsgesetzes fuer Behinderte
auf Bundesebene steht seit einigen Monaten auf dem Programm
der Bundesregierung. Ausgearbeitet wird der Gesetzentwurf
derzeit im Bundesjustizministerium. Der DBSV wird seine
Erwartungen an das Gesetz noch schriftlich vortragen. Mit
der Ministerin besprachen wir vorab unsere wichtigsten
Anliegen:
Schwierigkeiten beim Zugang Blinder und Sehbehinderter zu
Informationen sind soweit es geht aus dem Weg zu raeumen.
Geraete muessen grundsaetzlich auch von Blinden und
Sehbehinderten (und nicht nur von diesen) bedient werden
koennen. Das geplante Gleichstellungsgesetz koennte hier - wie
das amerikanische Vorbild - fuer Behoerden und Unternehmen
Verpflichtungen schaffen, die die Situation erheblich
verbessern koennten. Es geht bei diesem Gesetz aber nicht nur
um sachliche Barrieren, sondern auch um rechtliche
Hindernisse und Erschwernisse:

Fall 1: Die Verzoegerung oder gar Verhinderung der
Uebertragung von urheberrechtlich geschuetzten Texten in
blinden- und sehbehindertengerechte Medien aufgrund der
gesetzlichen Pflicht, von den Verlagen entsprechende
Lizenzen einholen zu muessen. Hier fordern wir schon seit
Jahren immer wieder die Befreiung von der Lizenzpflicht.
Jedesmal aber meint das Ministerium, dass sich das Problem
durch Vertraege zwischen den Verbaenden der Blindenselbsthilfe
und dem Buchhandel einvernehmlich loesen liesse und dass es
deshalb keiner gesetzlichen Regelung beduerfe. Auch jetzt
hielt die Ministerin an dem uns bekannten Standpunkt fest.
Wir wiesen demgegenueber darauf hin, dass der im letzten Jahr
geschlossene Vertrag mit dem Boersenverein des Deutschen
Buchhandels zwar ein sehr weitgehendes Entgegenkommen der
Verlage dokumentiert, aber noch keine gesicherten
Rechtsansprueche begruendet. Wir verwiesen auf die parallele
Entwicklung in den USA, wo ein aehnlicher Vertrag die
Vorstufe zu einer letztlich unumgaenglichen und dann 1996
auch tatsaechlich getroffenen gesetzlichen Regelung war. In
der noch weiter zu fuehrenden Diskussion wird es darum gehen,
die durch die Lizenzpflicht erwachsenden Probleme
nachhaltiger als bisher anhand von konkreten Faellen
aufzuzeigen und zu belegen und die Notwendigkeit einer
gesetzlichen Regelung herauszustellen.

Fall 2: Die Herstellung und Verwendung der fuer die Blinden
bestimmten Tonspur bei der Audiodeskription. Es handelt sich
hierbei um eine lizenzpflichtige "Bearbeitung" des
urheberrechtlich geschuetzten Filmwerks und um die "Nutzung"
eines neuen Sprachwerkes, das ebenfalls urheberrechtlich
geschuetzt ist. Diese Rechtslage kann Sendeanstalten daran
hindern, andere als eigene Filmproduktionen mit
Audiodeskription zu versehen und auszustrahlen. Der DBSV
strebt deshalb an, dass Erstellung und Nutzung der fuer Blinde
geschaffenen Tonspur vom Ballast urheberrechtlicher
Einschraenkungen befreit werden. Das ist eine neue Forderung,
die hier erstmals vorgetragen wurde. Dementsprechend konnte
sie auch nur andiskutiert werden.

Fall 3: Der generelle Ausschluss Blinder vom Schoeffenamt.
Nach unserer Ansicht ist dieser eine Diskriminierung, die
gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoesst. Die
Justizverwaltungen der Laender beharren jedoch auf ihrem
Standpunkt, wonach der Ausschluss sachlich notwendig und
rechtlich geboten sei. Wir hingegen halten es fuer
ausreichend, wenn der blinde Schoeffe nur in bestimmten
Ausnahmefaellen, bei der sogenannten "Augenscheinseinnahme""
durch einen sehenden ersetzt wird.
Diese Ansicht hatten wir zuletzt 1996 in einer mit dem DVBS
gemeinsam abgegebenen ausfuehrlichen Stellungnahme vertreten.
Das Bundesjustizministerium hatte in diesem Streit bisher
keine eigene Position bezogen. Umso erfreulicher war, dass
sich die Ministerin in unserem Gespraech erstmals deutlich
auf unsere Seite stellte und uns anbot, ihre Auffassung auch
in einem Interview fuer die "Gegenwart" oeffentlich zu
vertreten (das Interview ist fuer die November-Ausgabe
geplant).

Am Ende des Gespraeches wiederholte Juergen Lubnau die
Forderung des DBSV nach einem Rechtsanspruch auf
Elementarrehabilitation, wohl wissend, dass eine solche
Regelung nicht im Zustaendigkeitsbereich des
Bundesjustizministeriums liegt, aber mit der Absicht, bei
der Ministerin um politische Unterstuetzung zu werben. Die
Ministerin zeigte sich nicht nur beeindruckt, sondern auch
rechtlich interessiert. Schliesslich geht es bei der ER ja
auch um "Gleichstellung" bzw. um die Schaffung der hierfuer
notwendigen Bedingungen.